05.06.18, Tages-Anzeiger
Tagesschulen erhalten staatliches Gütesiegel
Der Kantonsrat hat gestern das Tagesschulmodell im Gesetz verankert. Die SVP warnt vor einer DDR-Schule.
Daniel Schneebeli
Die Stadt Zürich stimmt am nächsten Wochenende über die Ausweitung eines Schulprojekts ab, das bis 2025 in der flächendeckenden Einführung von Tagesschulen in der ganzen Stadt münden soll. Damit die Stadtzürcher Behörden diese Pläne umsetzen können, sind sie aber nicht nur auf ein Volks-Ja angewiesen, sondern auch auf die Unterstützung aus dem Zürcher Kantonsrat, denn Tagesschulen sind kein offiziell anerkanntes Modell der Volksschule.
Diese Hilfe hat ihnen das Kantonsparlament gestern geliefert. Mit 114:51 Stimmen ist es auf eine Änderung des Volksschulgesetzes eingetreten, mit der die Führung von Tagesschulen offiziell erlaubt wird. Unter diesem Begriff ist ein Schulmodell gemeint, bei dem die Kinder ihre Zeit von morgens um 8 Uhr bis am Nachmittag in der Schule verbringen, inklusive Mittagessen und Mittagsbetreuung. Somit hätte die Stadt Zürich die gesetzliche Grundlage, um ihre «Tagesschule 2025» einzuführen.
Die Bestimmung, die der Kantonsrat ins Gesetz schreibt, ist aber sehr offen gehalten. Sie überlässt es den Gemeinden, Tagesschulen einzuführen. Wenn sie es nicht tun wollen, können sie auch darauf verzichten. Zudem müssen die Eltern die Möglichkeit haben, ihre Kinder von der Mittagsbetreuung abzumelden und nur für den Unterricht in die Schule zu schicken.
SVP will den Anfängen wehren
Die grosse Mehrheit des Kantonsrats hält die Zeit reif für die Einführung von Tagesschulen. Gelobt wurde insbesondere der grosse Gestaltungsspielraum, welchen die Gemeinden dabei haben werden, denn «Zürich und Sternenberg brauchen nicht die gleiche Schule», sagte etwa GLP-Sprecher Christoph Ziegler (Elgg). Die Freisinnige Cäcilia Hänni (Zürich) meinte: «Der heutige Wohlstand basiert auf der Berufstätigkeit beider Geschlechter.» Deshalb sei es ein Gebot der Zeit, die Fremdbetreuung zu optimieren und Tagesschulen zu ermöglichen. Die Grüne Edith Häusler sprach sich dezidiert für die Änderung aus: «Wir haben schon vor 20 Jahren davon geträumt.» Viele Kinder seien in Tagesschulen besser aufgehoben, da sie am Mittag zu Hause unbetreut seien.
Die Sprecherin der Sozialdemokraten, Sylvie Matter (Zürich), war etwas enttäuscht und sprach von einem lediglich «zaghaften Schrittchen», und die Alternative Liste (AL) verlangte gar eine Obligatorischerklärung. «Wir wollen Tagesschulen, welche diesen Namen auch verdienen», sagte Judith Stofer (Zürich). «Was wir hier haben, ist eine Verwässerung, eine Tagesschule light.» Sie kritisierte das Stadtzürcher Modell als «Schwindel» und als «verkapptes Sparprogramm». Der AL-Antrag blieb allerdings vollkommen chancenlos.
Grundsätzlicher Widerstand kam von der SVP. Matthias Hauser (Hüntwangen) sprach von einer «Scheinfreiwilligkeit». Er befürchtet, dass Familien, welche bei den Tagesschulen nicht dabei sein wollen, ihre Kinder auswärts zur Schule schicken müssen. Hans-Peter Amrein (SVP, Küsnacht) sieht mit der Tagesschule sogar die liberale Staatsordnung gefährdet. Er zitierte aus einem 2009 erschienenen Aufsatz von Monika Mattes über die Ganztageserziehung in der DDR, wonach die Tagesschulen als «Machtinstrument dazu dienten, Familien und Gesellschaft zu stabilisieren». Darum sei es im Kanton Zürich nötig, den Anfängen zu wehren und diese Gesetzesänderung abzulehnen.
Schulwahl möglich machen
In der Detailberatung überraschte vor allem ein Entscheid zur Schulwahl. Gegen den Willen der Regierung wurde beschlossen, dass Kinder auf Wunsch eine Tagesschule in einer anderen Gemeinde besuchen können, sofern dies die beiden betroffenen Gemeinden gutheissen. Dafür stimmten Freisinnige und Linke, aber auch die EDU. Chancenlos war dafür der EDU-Antrag, der kostendeckende Beiträge der Eltern für die Mittagsbetreuung forderte. Der Rat stimmte mit 106:56 dagegen. Weiter wollten AL und SP verhindern, dass die Mittagspause in Tagesschulen verkürzt werden darf, wie es auch die Stadt Zürich plant. Auch dieser Antrag wurde mit 121:36 Stimmen klar abgelehnt.
Die Schlussabstimmung findet in vier Wochen statt.